Die Reise zur Reparatur einer Maschine in Saudi-Arabien ist angeordnet, doch als Arbeitszeit zählt der Chef die Anfahrtswege nicht. Bei der Autofahrt von mehreren Kollegen zur Inbetriebnahme in Hannover darf der Autofahrer dann die Stunden als Arbeitszeit schreiben, die Beifahrer dagegen wieder nicht. Ist so etwas rechtens? Wir klären, wann der Anfahrtsweg und was alles zur Arbeitszeit gehört.
Das Arbeitszeitgesetz trifft keine Feststellung darüber, wann die Arbeitszeit beginnt und wann sie endet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) gehört die Wegezeit generell nicht zur Arbeitszeit. Begründung: Der Arbeitnehmer steht dem Arbeitgeber während dieser Zeit nicht zur Verfügung. Viele Arbeitgeber haben für allerdings für Arbeitszeit und Überstunden auf Dienstreisen eigene Regeln. Der Blick in den Arbeits- oder Tarifvertrag beantwortet dann die Frage, ob die Dienstreise vollumfänglich als Arbeitszeit vergütet wird oder nicht.
Findet die Anfahrt zu einer Dienstreise während der regulären Arbeitszeit statt, also z.B. montags zwischen 9 und 17 Uhr, dann zählt die im Flugzeug, Zug oder Bus verbrachte Zeit als normale Arbeitszeit. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer unterwegs nicht arbeitet, also z.B. keine Mails bearbeitet, sondern die Beine hoch legt. Wer also während seiner Arbeitszeit mit der Bahn zu einem Termin von Hamburg nach Berlin fährt und währenddessen schläft, der darf die Zeit trotzdem als Arbeitszeit schreiben.
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Reisezeit ist jedenfalls dann Arbeitszeit, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer während Fahrt oder Flug dienstlich beschäftigt ist: zum Beispiel mit Vor- oder Nachbereitungen einer Sitzung oder mit Besprechungen mit der Chefin oder einem Kollegen.So hat sich die Berliner Fachanwältin für Arbdeitsrecht Sabine Reichert-Hafemeister getgenüber der Stiftung Warentest festgelegt (Heft Finanztest 3/2022)
Wie sieht es aber aus, wenn die Firma nur eine kurze Kernarbeitszeit von z.B. fünf Stunden hat, wie heute immer öfter üblich? Dann gilt offiziell auch nur diese Kernarbeitszeit als geleistete Arbeitszeit. Allerdings gibt es in aller Regel eine Betriebsvereinbarung zur Gleitzeit. Und dort ist dann meist die Zeiterfassung bei Dienstreisen geregelt – üblicherweise ähnlich wie bei festen Arbeitszeiten. Wo das nicht der Fall ist, spricht der Arbeitnehmer die Sache sinnvollerweise vorab mit seinem Chef ab. Meist gelingt es, nicht die Kernarbeitszeit, sondern die regelmäßige Arbeitszeit ansetzen zu dürfen.
Was aber gilt außerhalb der regulären Arbeitszeit? Dann wird es kompliziert: Es kommt darauf an, ob der Arbeitgeber die Arbeit des Arbeitnehmers anordnet oder nicht. So hat das Bundesarbeitsgericht bereits 2006 entschieden: „Eine Anreise zählt nur dann zur Arbeitszeit, wenn der Chef die Arbeitsleistung währenddessen anordnet oder nachträglich billigt.“ (9 AZR 519/05). Wer also bereits am Sonntagabend zum Messebesuch startet und normalerweise sonntags frei hat, der kann die Überstunden nur schreiben, wenn der Vorgesetzte ihn z.B. angewiesen hat, während der Fahrt z.B. Vorbereitungen zu erledigen. Die Rückfahrt am Dienstagabend nach regulärem Dienstschluss ohne Arbeitsanweisung zählt dagegen nicht als Arbeitszeit. Ausnahme: der Vorgesetzte genehmigt die zusätzliche Arbeitszeit nachträglich.
Eine weitere Ausnahme gilt für Außendienstkräfte. Für sie gehören die An- und Abreisen zum Kunden zur regelmäßigen Arbeitspflicht, sie sich also immer als Arbeitszeit zu werten. Auch für Beschäftigte in bestimmten anderen Berufsgruppen kann Reisezeit selbst dann vergütungspflichtig sein, wenn sie währenddessen nicht dienstlich beschäftigt sind. Das gilt zum Beispiel für Vertreter und Reiseleiter. Vor Ort gilt die normale Arbeitszeit, Überstunden werden in der Regel angerechnet. Quelle Zeitschrift Finanztest 3/2022
Fahrtzeit ist außerhalb der üblichen Arbeitsstunden also keine Arbeitszeit: Das gilt auch, wenn die Dienstreise ausdrücklich anordnet ist. Zumindest wenn der Arbeitgeber dem Mitarbeiter die Wahl des Verkehrsmittels freilässt oder öffentliche Verkehrsmittel vorschreibt, liegt nach Ansicht des BAG keine Arbeitszeit im rechtlichen Sinn vor. Das gilt auch, wenn er Akten studiert oder die Reiseabrechnung macht. Der Arbeitnehmer könnte ja zum Beispiel ein Schläfchen halten, ohne seine Dienstpflichten zu verletzen. Wenn das Aktenstudium oder eine Besprechung im Zug dagegen angeordnet ist, dann wird die Wegezeit zur Dienstzeit. Zu den öffentlichen Verkehrsmitteln zählen selbstverständlich auch die Flugzeuge.
Wie verhält es sich nun, wenn der Arbeitnehmer auf Anweisung mit dem Auto fährt? Diese Frage wurde bis heute nicht letztinstanzlich entschieden. Nach Ansicht der Fachleute spricht aber viel dafür, die Zeit als Arbeitszeit zu bewerten. Denn der Fahrer kann ja in der Zeit nichts anderes machen. Das gilt auch außerhalb der regulären Arbeitszeit. Schließlich muss der Angestellte sich beim Autofahren auf den Verkehr konzentrieren und kann anders als im Bus, Zug oder Flugzeug nicht ausruhen. So wird es in der Regel bei den meisten Unternehmen auch gehandhabt. Bei Berufskraftfahrern und Außendienstmitarbeitern gilt das sowieso, weil sie ihre Arbeit ohne Autofahrt ja nicht leisten könnten.
Es geht schneller, man muss nicht umsteigen und die nötigen Unterlagen nicht schleppen: Viele Arbeitnehmer fahren lieber mit dem Auto als der Bahn. Das ist auch möglich, wenn der Chef seinem Mitarbeiter freistellt, ob er mit dem Auto oder Zug reist. Einen Pferdefuß hat die Sache aber: Wenn sich der Arbeitnehmer freiwillig für das Auto entscheidet, dann zählt die Fahrt nicht zur Arbeitszeit. Denn der Angestellte hätte sich ja auch in den Zug setzen und dösen können.
Anders sieht es dagegen bei den Mitfahrern aus. Wenn also mehrere Arbeitnehmer z.B. zu einer Messe fahren und auf Anweisung des Betriebs das Auto verwenden, dann darf der Fahrer tatsächlich die Stunden als Arbeitszeit schreiben, die Beifahrer aber nicht. Lässt der Betrieb den Mitarbeitern dagegen die Wahl, ob sie das Auto, den Zug oder den Flieger verwenden, dann liegt für alle Beteiligten während der Anreise keine Arbeitszeit vor.
Nach der Anreise gilt für den Mitarbeiter, am Ziel angekommen, die übliche Arbeitszeit. Er muss sich also keine Minderstunde anrechnen lassen, wenn sein Kundentermin erst zwei Stunden nach dem gewöhnlichen Dienstbeginn startet. Der Arbeitgeber kann aber z.B. erwarten, dass der Mitarbeiter für Telefonate zur Verfügung steht oder Mails bearbeitet.
Wenn sich die Arbeitszeit vor Ort verschiebt, also z.B. nachmittags von 16 bis 20 statt von 13 bis 17 Uhr, dann führt das in der Regel nicht zu Überstunden. Drei Stunden liegen zwar außerhalb der gewöhnlichen Dienstzeit. Aber die reguläre Arbeitszeit hat sich einfach nur verschoben. Und das kann der Arbeitgeber in den meisten Fällen anweisen.
Anders sieht es aus, wenn die gesamte Arbeitszeit länger als üblich dauert. Dann können regelmäßig Überstunden geschrieben werden. Ist der Arbeitnehmer auch noch morgens angereist, dann kann versucht werden, zumindest teilweise Mehrarbeit zu schreiben. Das muss allerdings der Arbeitgeber genehmigen.
Findet die Dienstreise z.B. am Wochenende statt, dann ist wieder zwischen Arbeitszeit und Ruhezeit zu unterscheiden: Kundentermine, deren Vor- und Nachbearbeitung und andere dienstliche Tätigkeiten gelten als Arbeitszeit. Vier Stunden Zwangspause zwischen zwei Terminen gelten dagegen als Ruhezeit – genauso wie das private Mittagessen oder die Siesta im Hotelzimmer. All das muss der Arbeitgeber nicht als Arbeitszeit gelten lassen.
Grundregeln:
(hwr)