Akuter Personalnotstand bringt die Luftfahrtbranche in die Bredouille. Das starke Comeback der Geschäftsreisen und des Tourismus überfordert alle. Jetzt sind Ad-hoc-Ideen auf dem Tisch, um die Massen zu steuern.
Chaos herrscht bereits seit Wochen an den Flughäfen. Zuerst verursachte die Omikron-Welle vor Ostern hohe Krankenstände bei den Airlines und an den Airports. Jetzt setzt der Flugbranche unerwartet hohe Nachfrage und immer noch fehlendes Personal zu. Denn zu Beginn der Pandemie wurden Mitarbeiter angesichts des Stillstands massenweise entlassen. Die sind in andere Gewerbe abgewandert und kommen nicht mehr zurück.
Deshalb musste Easyjet bereits eine Woche vor Pfingsten in Großbritannien 200 Flüge annullieren. Pfingsten dann noch mal 80. KLM flog zeitweise Amsterdam Schiphol nicht mehr an, weil man dort mit der Abfertigung nicht mehr hinterherkam. Insgesamt fielen Tausende von Flügen in den letzten Wochen aus, weil es Airlines und Airports an Mitarbeitern mangelt.
Von schätzungsweise 20 Prozent weniger Bodenpersonal als vor Corona geht der Flughafenverband ADV aus. Von 5500 fehlenden Mitarbeitern sprechen die Flughafenbetriebsräte. Das heißt es wird für Flughäfen immer schwieriger, Bodendienste wie Sicherheitskontrollen, Gepäckbeförderung und Flugzeugabfertigung etc. sicherzustellen.
Da sich die fehlenden Mitarbeiter nicht sofort ersetzen lassen, greift so mancher in der Branche zu fantasievollen Sofort-Methoden, um die Folgen des Personalzustands sofort zu begrenzen:
Airlines versuchen innerhalb ihrer eigenen Unternehmen, alle Möglichkeiten auszuloten. So hat die Lufthansa ihre Mitarbeiter in der Verwaltung in einer Videobotschaft aufgerufen, sich freiwillig zu melden, um von Juli bis September am Boden auszuhelfen. Vorgesehen sind nach einer zweitägigen Einweisung jeweils drei Tage pro Woche Arbeit an den großen Drehkreuzen der Republik. Auch Fraport, der Betreiber des Frankfurter Flughafen verfährt so, um durch den Sommer zu kommen.
Akuter Personalnotstand herrscht auch in den USA. US-Verkehrsminister Peter Buttigieg hat daher dem Branchenportal Travelpulse zufolge erst einmal angekündigt, dass sein Ministerium durchaus die Befugnis hätte, um den Airlines die Einstellung von mehr Mitarbeitern zu befehlen. „Wir beobachten, was in der derzeitigen Lage gemacht werden kann und was gemacht werden muss, damit die Airlines ihre Arbeit erledigen können“, erklärte Buttigieg, um den Fluggesellschaften zugleich eine Frist bis zum langen Wochenende um den Nationalfeiertag 4. Juli zu setzen.
Easyjet plant der BBC zufolge, aus seiner A19-Flotte jeweils die letzte Sitzreihe herauszunehmen und damit die Zahl der Sitzplätze auf 150 zu limitieren. Mit der Reduzierung der Sitze darf die Airline auch die Anzahl der Crew-Mitglieder von vier auf drei Personen senken. Denn der britischen Luftfahrtbehörde zufolge richtet sich die Größe der Crew nach der Zahl der Sitze und nicht der tatsächlichen Auslastung.
Um lange Warteschlangen vor den Check-in-Schaltern und Gepäckaufgabeautomaten zu vermeiden, rät die britische Gewerkschaft GMB nur mit Handgepäck zu reisen. Die Rechnung ist dabei ganz einfach: Das entlastet nicht nur Mitarbeiter beim Einchecken und der Gepäckaufgabe, sondern alle, die das Gepäck abfertigen, also Sicherheitskontrolleure, Packer, Fahrer und Stauer. Wer dagegen nur mit Hangepäck fliegt, kann bereits online einchecken und muss bis auf die Sicherheitskontrolle keine anderen Bodendienste am Airport in Anspruch nehmen.
Wenn im eigenen Land die Fachkräfte fehlen, liegt es nahe, woanders zu suchen. Das ist legal, wenngleich fragwürdig. So unterstützt unter anderem der Flughafenverband ADV eine Idee, der zufolge 2000 türkische Leiharbeiter an deutschen Flughäfen die Personallücke vorübergehend schließen sollen. Der entsprechende Vorschlag liegt dem Bundesarbeitsministerium vor.
So gibt es offenbar einen Anbieter aus Istanbul, wie das Flugportal Aero.de berichtet, der en gros die benötigten Fachkräfte liefern könnte. Sie sprechen nicht nur rudimentär Deutsch (A2-Niveau), sondern sind auch im Besitz bestätigter Zertifikate über Gefahrengutschulungen, die Iata-Ansprüchen genügen. Allerdings muss das Arbeitsministerium helfen, denn in der Regel muss sich jeder Airport-Arbeiter aus Sicherheitsgründen einer gründlichen Einzelfallprüfung unterziehen. Auf so einen Zeitaufwand – zu Lasten der Sicherhet (!) – würde man natürlich gerne verzichten.
Vermutlich wissen die meisten von uns erst seit Corona, was Triage bedeutet. Angesichts der Tatsache, dass am letzten Mai-Wochenende am Dubliner Airport rund 1000 Passagiere wegen des Andrangs ihre Flüge verpassten, greift das Management des Flughafens zu rigorosen Auswahlmaßnahmen, um die Massen in den Terminals zu entzerren und nennt es unangemessen, aber publikumswirksam „Triage“.
Zu Hochzeiten erhalten nur noch Passagiere Zutritt zu ihrer Abflughalle, wenn ihr Flug innerhalb der nächsten zweieinhalb Stunden bei Kurzstrecken und drei Stunden bei Langstrecken abhebt. Der Rest muss vor dem Flughafen warten. Ausgenommen sind natürlich Personen mit besonderen Bedürfnissen.
Wie immer hat auch Ryanair-Boss Michael O’Leary eine Idee, an der sich werbewirksam die Geister scheiden. Dem Guardian sagte er, die Regierung solle für die nächsten drei bis vier Monate das Militär an die Flughäfen schicken, um sich um die Kontrollen zu kümmern. „Armee- und Verteidigungspersonal ist doch gut darin, Sicherheit herzustellen und könnte doch die Flughäfen entlasten“, sagte er dem Blatt, „das wäre doch mal was Sinnvolles, was diese Regierung tun könnte, statt immer nur die Schuld den Airports und Airlines zu geben, was ja nicht die Probleme löst.“
(thy)
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