Elite, Etikette, Ernst? Das gehörte lange zum Habitus der Michelin-besternten Hotelgastronomie. Inzwischen hat sich diese vielerorts geöffnet und will weg vom steifen Image. Wo edel essen Spaß macht …
Text: Sylvie Konzack
Es ist ein bisschen wie mit dem Berg und dem Propheten. Wenn die Auswahl so unermesslich groß geworden ist und Restaurants sich jenseits des bisher Üblichen entwickeln wollen, muss man bei der neuen Wunschklientel auch mal in die Offensive gehen. Für Christian Jürgens vom „Restaurant Überfahrt“ sind es die unter 31-Jährigen. Seit dem Sommer lädt der Drei-Sterne-Koch die junge Klientel zum „Experience Menü“ ins Althoff Seehotel Überfahrt nach Rottach-Egern nahe München ein – ab 159 Euro, von Freitag bis Sonntagmittag und bei Casual Chic. Mit echten Jürgens-Klassikern wie dem „Hong Kong Cray Fish Tea“ mit Kaisergranat oder der „Kiste“ mit gefülltem Kartoffelwürfel, Perigord-Trüffelmousseline und Trüffelsalat will er die Generation Y bis Z auf den Geschmack bringen und für seinen Gastro-Olymp begeistern.
Unorthodoxe Küchenstile fernab der lang dominierenden klassisch-französischen Küche, entspanntes Interieur oder offensive Kennlernangebote – hier werden auch unerfahrene Gäste zu Fans und legen etwaige Berührungsängste ab. Die Spitzengastronomie ist flexibler geworden und offener für Neues – ein Fakt, der auch der Hotellerie zugutekommt. Herbergen, die sich ein Sternerestaurant ins Haus holen, profitieren von dessen Glanz und Image. Werden dort neue bzw. zusätzliche Zielgruppen erschlossen, bekommt auch das gastgebende Hotel die Chance, diese für sich zu gewinnen.
Dass es den typischen Sterne-Gast nicht mehr gibt, dazu trägt auch die nie dagewesene Auswahl an von Michelin geadelten Restaurants bei. Allein in Deutschland gibt es aktuell 261 Lokale mit einem Stern, 38 mit zwei und zehn mit drei. Sie werden getragen von einer neuen Generation an Spitzenköchen, die bei den Grandseigneurs gelernt hat und nun selbstbewusst, mit aufgekrempelten Ärmeln und dem ein oder anderen Tattoo am Körper den eigenen Stil lebt. Man kennt sich untereinander, startet gemeinsame Projekte oder holt den berühmten Kollegen aus London oder New York als Konzeptberater ins Haus. Für die Gäste bedeutet das, eine deutlich internationalere oder auch regionaler ausgerichtete Spitzenküche erleben zu dürfen, mit stark gesunkenen Hemmschwellen.