Der neue Lufthansa-Chef Carsten Spohr hat es eilig – er will die Kranich-Linie in der Kundenbeurteilung schon nächstes Jahr zur einzigen europäischen „5-Sterne-Airline“ küren lassen. Da darf eine Innovation nicht fehlen, die seit einigen Jahren in der Airline-Branche immer mehr zum Trend auf Langstrecken wird: die Premium Economy Class. Ihre Lufthansa-Premiere feiert sie zum Jahresende, garantiert verfügbar soll sie ab 10. Dezember sein, und zwar zunächst auf allen Strecken, die von der neuen Boeing 747-8 beflogen werden. Darunter sind ab Frankfurt Ziele wie Buenos Aires, Chicago, Hongkong, Mexiko-Stadt, Sao Paulo, Peking und Washington DC. „Wir beschleunigen die Produktoffensive jetzt nochmal und werden bis zum Frühjahr 2015 auf allen Langstreckenflugzeugen die neuen Produkte haben, neben der Business Class auch die Premium Economy“, verkündete Spohr jetzt. Ursprünglich war die vollständige Umrüstung erst für Ende 2015 geplant.
Ein durchaus ehrgeiziges Vorhaben bei gut hundert Flugzeugen, die dafür umgerüstet werden müssen – das sich für die Airline lohnen soll: Im Fokus stehen vor allem Geschäftsreisende kleiner und mittlerer Unternehmen oder jene, deren Firmen-Reiserichtlinien keine Passage in Business Class mehr erlauben. „Wir sehen ein großes Upselling-Potenzial bei Geschäftsreisenden aus der Economy Class“, sagt Jens Bischof, der für das Produkt zuständige Vorstand. Die Lufthansa plant, künftig 1,5 Millionen Kunden pro Jahr in Premium Economy zu befördern und damit zehn Prozent ihres Langstreckengeschäfts in der neuen Zwischenklasse zu machen. Auch hat die Kranich-Linie keine Angst mehr, ihre Business-Kunden könnten zu großen Scharen in die nun verbesserte Holzklasse abwandern, weil allein aufgrund der zum flachen Bett umzuwandelnden Sitze der qualitative Abstand zur aufgewerteten Economy groß genug ist.
„Wir wollten nicht nur einfach eine ‚Economy Plus’ mit größerem Sitzabstand“, sagt Jens Bischof, „sondern uns klar im oberen Segment des Wettbewerbs positionieren.“ Und dafür muss die Gesellschaft vorlegen, denn die Standards haben inzwischen andere gesetzt: Bereits vor rund 20 Jahren machte die taiwanesische EVA Airways den Anfang. Heute haben rund 30 Fluggesellschaften auf Langstrecken ein solches Angebot, manche nur auf Teilflotten, andere in allen Fernfliegern. Zu den führenden Anbietern unter den großen Gesellschaften gehören etwa Air Canada, Air China, Air France, Air New Zealand, Alitalia, ANA, British Airways, Cathay Pacific, JAL, Qantas, SAS und Turkish Airlines. Dabei haben sich 97 Zentimeter Sitzabstand als Standardmaß herausgebildet, das sind etwa 18 Zentimeter mehr als in der Economy Class, was einen erheblichen Komfortgewinn bedeutet. Lufthansa hat von mehr als 200 Testpassagieren monatelang verschiedene Varianten testen lassen, Kieler Designer entwarfen schließlich einen Sitz, der eben nicht ein Modell von der Stange sein sollte. Aber beim Abstand kamen genau die branchenüblichen 97 Zentimeter heraus, „im Vergleich zur Economy wächst der persönliche Freiraum insgesamt etwa um die Hälfte“, verspricht Jens Bischof.
Der Premium Economy-Sitz, von denen jeder einzelne etwa soviel kostet wie ein VW Golf und Lufthansa 3.600 Stück in ihre Flugzeuge einbaut, macht mit seinem Metall-Finish und dem dunkelgrauen Bezug einen eleganten Eindruck. Der Passagier erhält hier im Vergleich zur Economy-Bestuhlung einen fühlbaren Mehrwert – mit eigener breiter Armlehne an jedem Sitz und einer Mittelkonsole mit Staufläche dazwischen sowie ausfahrbarer Fußstütze, die allerdings für Großgewachsene nur eingeschränkten Komfort bietet. Dazu einen größeren Monitor (jetzt elf bis zwölf Zoll in der Diagonale), einen Flaschenhalter, eine Steckdose und die stufenlos einstellbare Kopfstütze. Außerdem erhalten Passagiere in der neuen Zwischenklasse eine spezielle „Kulturtasche“, ein Begrüßungsgetränk und eine Menükarte. Serviert wird auf Porzellan, getrunken aus Gläsern, hier siedelt Lufthansa ihr Produkt ganz klar in der Nähe der Business Class an. Das gilt auch für die doppelte Menge Freigepäck.
Am Boden dagegen gelten weitgehend identische Bedingungen wie für Economy-Kunden, außer dass den Premium-Economy-Gästen gegen Bezahlung die Business Lounge (25 Euro) oder bei Ankunft die Welcome Lounge (50 Euro) offensteht. „Die Tarife liegen aber deutlich näher an der Economy“, sagt Jens Bischof. Im Durchschnitt kostet ein Platz in Premium Economy für Hin- und Rückflug etwa 600 Euro Aufpreis gegenüber einem typischen Economy-Ticket, während der Unterschied zwischen der Holzklasse und Business im Mittel bei 2.000 Euro liegt. Auch Upgrades sollen später gegen Meilen oder Aufzahlung erhältlich sein. Im Branchenschnitt kostet die Passage in der aufgewerteten Economy rund 30 Prozent mehr als ganz hinten, aber etwa 70 Prozent weniger als in Business.
Nicht nur Lufthansa gehört zu den erwähnenswerten Neuzugängen in diesem Produktsegment, auch Singapore Airlines (SIA) will sich ab der zweiten Jahreshälfte 2015 mit einem eigenen Angebot dem Wettbewerb stellen. „Premium Economy gewinnt immer mehr Akzeptanz auf dem Markt“, stellten die SIA-Strategen fest, der Kunde wünsche diese Zwischenklasse. Genaue Daten will die Airline noch nicht verraten, verspricht aber mehr Freiraum als in der „Executive Economy“, die früher auf Ultralangstrecken mit dem Airbus A340-500 angeboten wurde und 94 Zentimeter Sitzabstand aufwies. Zuerst wird die Boeing 777-300ER-Flotte damit ausgerüstet, dann die A380.
Mit Neuerungen dabei ist ab Anfang 2015 auch SAS mit ihrem Produkt „SAS Plus“, das die frühere „Economy Extra“ ersetzen wird. Leider springt dabei für die Passagiere bei den umzurüstenden sieben A330/A340 keine Verbesserung des Sitzabstands heraus, der bleibt bei eher mageren 94 Zentimetern, erst bei später neu auszuliefernden Flugzeugen gibt es mit 96,5 Zentimetern dann mehr Fußraum.
Eines der weltweiten Top-Produkte bringt JAL seit Mai auch auf ihren täglichen Frankfurt-Flügen von und nach Tokio-Narita mit ihrem JAL-Sky-Premium-Sitz in Premium Economy zum Einsatz. Mit 107 Zentimetern ist der Sitzabstand rekordverdächtig. Den Rekord bricht tatsächlich aber Air New Zealand mit ihrer einzigartig gestalteten Pacific Premium Economy mit üppigen 116 Zentimetern Abstand. Die kommt auf der Boeing 777-300ER auf den Europa-Flügen ab London zum Einsatz, wird allerdings trotz positiver Kundenreaktion nicht bei der jetzt anstehenden Modernisierung auch in die kleinere Boeing 777-200ER eingebaut, genauso wenig wie in die neue 787-9, dort kommt jeweils eine konventionellere Variante zum Einsatz.
Für Air France ist die Premium Economy besonders wichtig, und sie heißt jetzt auch schlicht so und nicht mehr „Premium Voyageur“ wie bei ihrer Einführung. Nicht nur der Name, auch das Produkt wird verbessert: „Wir hatten bisher fest fixierte Fußstützen, jetzt sind sie beweglich, auch der Schaumstoff unter dem Sitzbezug wird ausgetauscht und ist nun dicker und besser gepolstert – eine wichtige Komfortverbesserung vor allem auf Nachtflügen“, sagt Produktmanagerin Eugénie Audebert. Zwischen Juni 2014 und bis Juli 2016 werden insgesamt 1.100 Premium-Economy-Sitze umgerüstet und in alle 44 Flugzeuge der Typen A330, A340, A380 sowie Boeing 777 eingebaut. Am besten gebucht ist die Zwischenklasse bei Air France auf Amerika- und Asien-Strecken, „üblicherweise zum doppelten Preis der Economy“, sagt Audebert.
Manchmal allerdings wird ein Produkt auch Opfer seines eigenen Erfolgs. Die nach Kundenmeinung zu den besten Premium-Economy-Produkten auf dem Markt gehörende Comfort Class von Turkish Airlines wird bis 2016 aus derzeit zwölf Boeing 777-300ER wieder ausgebaut. „Wir haben nicht genug Platz für die Business Class und können auf diese Weise noch zwei weitere Reihen davon einbauen“, sagt Turkish-Chef Temel Kotil. „Die Comfort Class ist ein gutes Produkt, aber wir können uns nicht leisten, auf den Platz für mehr Business-Sitze zu verzichten, deren Geschäftsmodell ist einfach besser“, so Kotil.
Text: Andreas Spaeth; BUSINESS TRAVELLER Magazin 4/2014