Für alle, die Economy fliegen, geht es hier um eins der wichtigsten Themen überhaupt: die Armlehne und wer sie belegen darf.
Zu Zeiten, in denen die Flugzeugsitze immer kleiner werden, wundert es kaum, dass Menschen im Flugzeug versuchen, von dem wenigen verbliebenen Platz so viel wie möglich zu beanspruchen.
Tatsächlich beginnt der Ellenbogenkampf oft schon vor dem Abheben. Man selbst hat seinen Arm nur auf einen ganz kleinen Teil der Armlehne gelegt. Doch der Nachbar beansprucht völlig selbstverständlich die komplette Breite.
Es mag wichtigere Fragen geben im Leben, doch während eines Langstreckenflugs hat man ja reichlich Zeit zu überlegen: Wer hat nun eigentlich recht? Wem gehören die Armlehnen, besonders wenn man in einer Dreierreihe sitzt? Die mittleren Armlehnen sind dort ja jeweils zwei Passagieren zugeordnet. Das heißt, die Armlehne wird von jeweils zwei Personen genutzt.
Die Armlehne scheint ein so wichtiges Thema zu sein, dass das Meinungsforschungsinstitut YouGov dazu jährlich eine Befragung startet. Clevere Firmen haben dazu schon Erfindungen wie die Doppelstock-Armlehne Paperclip und den aufsteckbaren Armlehnentrenner Soarigami auf den Markt gebracht. Im vergangenen Jahr hielt das Dilemma sogar Einzug in die Wissenschaft. Beim jährlichen Designwettbewerb der Londoner Kingston University siegte ein Gerät, mit dessen Hilfe sich die Mittelarmlehne ganz nach Wunsch auf schlank für beide oder bequemer für einen Passagier einstellen lässt.
Doch was tun, wenn man so eine Wunderlösung nicht dabei hat?
Für die US-Benimmautorin Lizzie Post ist die Sache klar: „Die Armlehne ist technisch gesprochen Teil beider Sitze. Deshalb dürfen sie auch beide benutzen.” Eigentlich sollte jeder also 50 Prozent der Armlehne in Besitz nehmen dürfen. Aber dafür ist sie in der Regel zu klein.
Die Ex-Stewardess und spätere BBC-Kolumnistin Beth Blair empfiehlt trotzdem eine salomonische Lösung, wie die mittlere Lehne fair geteilt werden kann: Ein Fluggast verwendet zum Abstützen des Ellenbogen das vordere, der andere das hintere Ende der Armlehne.
Diesem Vorschlag schlossen sich auch der Arbeitskreis Umgangsformen International (AUI) und seine Vorsitzende Inge Wolff an. Sie rät, unnachgiebige Sitznachbarn im Zweifelsfall auch direkt anzusprechen – etwas mit einem freundlichen „Darf ich bitte den hinteren Teil der Lehne benutzen?“. Und Benimmautorin Lizzie Post ergänzt: „Ich würde wahrscheinlich sagen: „Stört es Sie, wenn ich meinen Ellenbogen hier zurücklege und Ihnen den vorderen Teil der Armlehne überlasse?“
Die gemeinsame Armlehne gehört also niemandem. Es gibt allerdings eine allgemeine Gepflogenheit: Die Passagiere des Gang- und des Fenstersitzes sollten dem in der Mitte Sitzenden gegenüber großzügig sein und ihm den “Armlehnenvorrang” gewähren. Denn die außen Sitzenden verfügen ja bereits über eine eigene Lehne. Und der Mittelsitzer hat ohnehin sonst nur Nachteile: kein Fenster, keinen direkten Zugang zum Gang – und dann noch zwei Armlehnen, die auch die Nachbarn beanspruchen.
Lizzie Posts Co-Autor Daniel Senning schlägt darüber hinaus vor, außer an Sitz und Armlehnen auch an die persönliche Situation der jeweils anderen Person zu denken: „Jeder Mensch hat eine andere Form und Größe“, sagt er. „Und größere Leute benötigen einfach mehr Platz. Das ist die praktische Realität.”
Eins geht jedenfalls auf gar keinen Fall: den Sitznachbarn zu berühren. Körperkontakt ist unter fremden Menschen tabu. Das Ellenbogenstoßen ist allerdings durchaus etwas, das Menschen in sehr engen Räumen aus Verzweiflung tun: Sie ziehen die Arme hoch und verleihen dem Unmut über ihre Enge mit ihren Ellbogen wie Hühnerflügel Ausdruck. Da bleibt für den Gestoßenen nur, möglichst angemessen zu reagieren. Aber wie?
US-Benimmautorin Lizzie Post rät, keineswegs selbst gegenzuhalten, sondern die Sache mit Worten anzusprechen. Das könnte in etwa so funktionieren: „Nur um Sie zu beruhigen, ich brauche die Armlehne nicht. Fühlen Sie sich frei, sie zu benutzen. Ich verstehe, dass der mittlere Sitz eng ist.” Und wenn der andere trotzdem weiter stochert, ist dieser Satz einen Versuch wert: „Würde es Ihnen etwas ausmachen, auf Ihren Ellenbogen zu achten? Er scheint mich ein bisschen zu stoßen.“
Und wenn der andere doch nicht aufhört und unentwegt auf Berührung geht? Dann bleibt nichts anderes, als den Flugbegleiter einzuschalten. Die Ex-Stewardess Beth Blair empfiehlt dazu: „Am besten drückt man nicht den Rufknopf, sondern steht auf und kontaktiert den Flugbegleiter diskret. Dann hat der immer noch die Möglichkeit, mit der anderen Partei zu sprechen und gleichzeitig ihr Gesicht zu wahren.”
Was passiert schließlich, wenn die Auseinandersetzung aus dem Ruder gerät und auch die Flugbegleiterin keinen Kompromiss erreichen kann? Dann entscheidet in einem Flugzeug grundsätzlich der ranghöchste Kommandierende, also der Flugkapitän. Er hat die Entscheidungsgewalt und kann z.B. die Streithähne auseinander setzen.
Man glaubt es kaum, aber einige derartige Fälle landeten bereits vor einem Schiedsgericht. Deutschlands Oberschlichter Heinz Klewe gibt streitlustigen Passagieren aber wenig Chancen: „Es gibt kein Recht auf Armlehnen“, erklärt der Geschäftsführer der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP). Rein juristisch gesehen darf die Armlehne im Zweifel also keiner von beiden Anrainern nutzen.
(hwr)