Billigflieger starten und landen stets an abgelegenen Flugplätzen. Umsteigen kann man nur auf eigene Gefahr. Und Service braucht kein Mensch. Mit diesem simplen Dreisatz hat Ryanair in den vergangenen 20 Jahren die Airline-Branche aufgemischt. Doch was bisher als ungeschriebenes Gesetz der Billigfliegerei galt, das war einmal. Lesen Sie, wie Ryanair gerade den Billigflug neu erfindet.
Die Zeiten, als Ryanair ihren Passagieren den Hahn als Frankfurt (West) verkaufen musste, sind vorbei. Im März hat Europas Billigflieger Nummer eins vier Flugzeuge in Frankfurt (dem richtigen) stationiert, im Herbst sollen es gar 24 werden. Auch in Hamburg und Nürnberg hat Ryanair erstmals Basen eröffnet. Und die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass demnächst auch München folgen soll. Warum der Schwenk? Zum einen kommen die Airports Ryanair preislich weit entgegen. Zum anderen brauchen die Iren für weiteres Wachstum auch die größeren Flughäfen.
Punkt zu Punkt und sonst nichts: Das war bislang eine feste Billigflieger-Regel. So halten die Lowcost-Airlines die Abläufe einfach und die Kosten niedrig. Wer als Passagier trotzdem einen Umsteigeflug bucht, der trägt selbst das Risiko, dass er und das Gepäck die zweite Maschine auch erreichen. Doch das ändert sich gerade: Ryanair bietet zum ersten Mal Umsteigeflüge an. Wer über Rom und weiter fliegt, der kann sein Gepäck durchchecken und im Sicherheitsbereich bleiben. Bald soll umsteigen im gesamten Ryanair-Netzwerk möglich sein. Umsteigeflüge sind für den Passagier nicht nur bequemer, sondern auch sicherer. Im Gegensatz zu zwei getrennten Tickets haftet hier die Airline für den erreichten Anschlussflug.
Geld lässt sich auch als Zubringer verdienen. Seit neuestem verkauft Ryanair Langstreckenflüge der spanischen Fluglinie Air Europa auf ihrer Webseite. Zu den angebotenen Zielen gehören z.B. Boston und Miami in den USA, Sao Paulo in Brasilien, Cancun in Mexiko und Montevideo in Uruguay. Noch in diesem Jahr sollen auch Flüge mit Ryanair beispielsweise von Berlin nach Barcelona und weiter mit Air Europa nach Buenos Aires möglich sein. Das Gepäck wird dann bis ans Ziel durchgecheckt. Darüber hinaus will Ryanair auch mit Norwegian und Aer Lingus vergleichbare Vereinbarungen treffen.
Was macht der Brexit aus der Billigfliegerei? Für Ryanairs Hauptkonkurrenten Easyjet als britische Fluggesellschaft könnte es eng werden. Anders für Ryanair: Die Iren expandieren dann halt aktuell mal anderswo: Im Herbst sollen Ryanair-Flieger im bayerischen Memmingen stationiert werden und im polnischen Posen, in Kiew und Lwiw der Ukraine und in Tel Aviv.
Die jüngsten Zahlen machen es deutlich: Ein Tiefpunkt bei den Flugpreisen ist noch nicht erreicht. 2016 kostete ein Flugticket bei Ryanair im Durchschnitt 41 Euro, das waren 13 Prozent weniger als 2015. Auch 2017 soll der Flugpreis weiter sinken und zwar um fünf bis sieben Prozent. Wie gelingt das? Dank voller Maschinen (durchschnittlich zuletzt 94 Prozent) und dank Größenvorteilen: Seit vergangenem Jahr ist Ryanair Europas größte Airline mit 120 Millionen Passagiere, Lufthansa hat nur 107 Millionen.
Wer bei Ryanair künftig eine Sitzplatzreservierung bucht, der kann 60 Tage vor dem geplanten Abflugtag für seinen Flug einchecken. Bislang war das erst ab 30 Tagen der Fall. Kunden ohne Sitzplatzreservierung können ab 4 Tagen vor Abflug einchecken. Ihnen wird der Sitzplatz dann zufällig und kostenlos zugeteilt. Mit Extraleistungen wie dieser steigerten die Iren ihren Gewinn gerade wieder um sechs Prozent auf 1,32 Milliarden Euro. Gebühren wie für den Check-in, für Sandwiches an Bord oder Gepäck machen inzwischen fast ein Drittel des Geschäfts aus.
Wer Flüge verkaufen kann, der kann auch Mietwagen. Und Hotels. Und Pauschalreisen. Und mehr. So denkt jedenfalls Ryanair-Marketingchef Kenny Jacobs. Er will Ryanair ganz unbescheiden zum „Amazon des Reisens“ machen. Die Idee: Wer eine Reise plant, der beginnt mit dem Flug. Dann denkt man über das Hotel nach und dann überlegt man, wie man vom Flughafen zum Hotel kommt. Und weil Ryanair mittlerweile die meistbesuchte Airline-Webseite Europas ist, sieht Jacobs eine sehr gute Chance, auch alle anderen Reisebestandteile gleich mit zu verkaufen. Hauptsache, der Preis stimmt. Aber das ist beim Flug ja auch nicht anders.
(hwr)