Astana, die Hauptstadt von Kasachstan, ist noch nicht einmal 20 Jahre alt. Aus Deutschland kommen hauptsächlich Geschäftsreisende dorthin. Aber sie tun gut daran, ein paar Stunden fürs Sightseeing einzuplanen …
Astana? – Für viele Deutsche ist der Name der kasachischen Hauptstadt bis heute ein Fremdwort, aber das wird sich wohl bald ändern. Denn Kasachstan ist immerhin der fünftgrößte Erdöllieferant der Bundesrepublik, und seit die beiden Regierungen 2012 ein umfassendes Abkommen zu den Bereichen Rohstoffe, Industrie und Technologie geschlossen haben, ist Deutschland für die Kasachen zum wichtigsten Partner innerhalb der EU geworden. 2013 betrug das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern 6,5 Milliarden Euro. Zahlreiche deutsche Firmen unterhalten bereits Niederlassungen in dem zentralasiatischen Land, die Deutschkurse im Goethe-Institut sind voll belegt, 2017 soll dort die Expo stattfinden.
Die vielfältigen Beziehungen und der zunehmende Geschäftsreisetourismus schlagen sich natürlich auch in den Verkehrsverbindungen nieder. Die junge Fluglinie Air Astana, die mit ihrer modernen Flotte und gutem Service durchaus mit anderen internationalen Gesellschaften mithalten kann, verbindet Frankfurt und Astana täglich, die Lufthansa startet jeden Montag, Mittwoch und Freitag nach Kasachstan. Gut fünf Stunden dauert der Nonstopflug von Rhein-Main zu dem modernen Airport in der Steppe.
Was erwartet den Besucher in der Hauptstadt, deren Namen noch weitgehend unbekannt ist? Viel Überraschendes – und das hängt sicher mit der ungewöhnlichen Geschichte dieser Stadt zusammen. Bei Kasachstan denken die meisten Menschen an Almaty. Das war früher die Hauptstadt, aber sie lag im Südosten ganz am Rande des Staatsgebietes, nicht weit von der chinesischen Grenze, und machte damit die Verwaltung des riesigen Landes schwer. So beschloss die Regierung Anfang der 1990er Jahre, eine neue Hauptstadt aus dem Boden zu stampfen, und suchte sich dafür einen Ort aus, der zwar geographisch in der Landesmitte lag, ansonsten aber bis dahin lediglich ein bescheidenes Dasein als Knotenpunkt der Eisenbahnlinie zwischen Russland und China gefristet hatte.
Kasachstan mit seinen reichhaltigen Bodenschätzen ist alles andere als arm. „Klotzen, nicht kleckern“ hieß daher von vornherein die Devise des Präsidenten Nursultan Nasarbajew bei der Planung der neuen Hauptstadt. Vom Reißbrett weg entstanden großzügige Anlagen mit achtspurigen Straßen und spektakulären Gebäuden. Prominente Architekten wie Sir Norman Foster und Stadtplaner wie Kisho Kurokawa wurden engagiert, um der Skyline der neuen Metropole ein unverwechselbares Gesicht zu geben, und innerhalb weniger Jahre schossen neben den bescheidenen Häuschen der Hirten und Eisenbahner, die früher hier gewohnt hatten, himmelstürmende Verwaltungspaläste und Einkaufszentren in die Höhe. 1994 war die Entscheidung gefallen, Astana zur Hauptstadt zu machen, schon vier Jahre später, 1998, wurde sie umgesetzt. Der Bauboom hält bis heute an, inzwischen liegt der Schwerpunkt auf neuen Wohnungen, und die Einwohnerzahl strebt der Millionengrenze zu.
Naturgemäß kommen fast sämtliche Besucher aus Deutschland auch heute noch aus geschäftlichen Gründen in die Stadt, was die Kasachen schon deshalb bedauern, weil sie stolz sind auf ihre Metropole und nur zu gerne deren Sehenswürdigkeiten zeigen. Wer nach Astana kommt, tut deshalb gut daran, ein paar Stunden fürs Sightseeing einzuplanen – nicht nur, um den Gastgebern damit eine Referenz zu erweisen, sondern auch, weil es durchaus ein paar Highlights gibt, die den Besuch lohnen.
An erster Stelle der City Tour steht selbstverständlich der Baiterek, das Wahrzeichen der Stadt. Ob einem diese Architekten-Fleißarbeit gefällt oder nicht – spektakulär ist das Bauwerk in jedem Fall: ein über 100 Meter hohes Stahlgerüst, auf dem eine riesige goldgetönte Kugel thront. Das Ganze geht auf die kasachische Mythologie zurück. Das Gestänge soll einen Baum symbolisieren, in dessen Ästen der sagenhafte Vogel Samruk ein Ei gelegt hat – Symbol für den Aufbruch in die Zukunft. Für 500 Tenge (circa 2,20 Euro) bringt der Lift die Besucher gut 90 Meter hoch in das Innere der Kugel, von wo man einen faszinierenden Blick auf die umliegenden Regierungsviertel hat. Außerdem kann man dort einen vergoldeten Handabdruck von Präsident Nasarbajew bewundern, der damit die Besucher des Baiterek willkommen heißen will.
Zwei Gebäude des Stararchitekten Sir Norman Foster sind auf jeden Fall einen Besuch wert. Das erste ist die 62 Meter hohe Glaspyramide „Palace of Peace and Reconciliation“. Ihr Inneres birgt die Oper der Stadt, Ausstellungsräume, eine Galerie und das Ethnic Cultural Center of Astana. In der Spitze der Pyramide lohnt ein Blick auf die farbige Glasmalerei des Künstlers Brian Clarke. Sie zeigt 130 Tauben, die für die 130 in Kasachstan lebenden Nationalitäten stehen. Der Eintritt in die Pyramide kostet 600 Tenge (circa 2,70 Euro) für Erwachsene, täglich zwischen zehn und 19 Uhr gibt es Führungen durch den spektakulären Bau.
Keinen Eintritt kostet verständlicherweise der Besuch im zweiten Foster-Gebäudes von Astana, einem riesigen Einkaufszentrum mit Namen Khan Shatyr. Wer es betritt, fühlt sich an die Konsumstempel in den USA oder Dubai erinnert. Auf einer Fläche von 100.000 Quadratmetern über sechs Etagen verteilt befinden sich Geschäfte der internationalen Mode-Labels, ein Food Court mit Spezialitäten aus aller Welt, ein Entertainment Center und im obersten Stock ein großer Pool mit Sandstrand und mehreren Bars, der auch im Winter bei minus 20 Grad karibisches Flair verbreitet. Zusammengesetzt ist das Gebäude aus Beton, Glas und riesigen Textilbahnen auf Stahlmasten, die dem Ganzen einen luftigen Zelt-Charakter verleihen.
An Dubai erinnert auch ein bisschen das Aquarium, das zum Entertainment Center Duman gehört. Mit Unterwassertunnel, einem Haifischbecken und über 2.000 Lebewesen aus den verschiedensten Weltmeeren vermittelt es einen im wahrsten Sinne lebendigen Einblick in den Lebensraum Ozean – und das, obwohl das nächste Meer an die 3.000 Kilometer entfernt liegt!
Von beeindruckender Größe und alleine deshalb schon einen Besuch wert ist auch die Nur-Moschee in Astana, das größte islamische Gotteshaus in Zentralasien (täglich zwischen sieben und 21 Uhr geöffnet). Die vier Minarette mit jeweils 63 Metern und die goldene Kuppel mit 40 Metern Höhe sind schon von weitem zu sehen. Insgesamt bietet das Gebäude Platz für bis zu 5.000 Gläubige, finanziert wurde es vom Emir von Katar. Dass hier neben dem Islam auch die anderen Weltreligionen eine friedliche Koexistenz führen, beweisen eine große orthodoxe Kathedrale, eine Synagoge und viele weitere Kirchen.
Islam, spektakuläre Betonpaläste, Shopping Malls und das Streben nach Rekorden fordern den Vergleich zu Dubai geradezu heraus. Und es gibt noch einen Punkt, in dem sich beide Länder entfernt gleichen: Auch dem kasachischen Präsidenten Nasarbajew ist bewusst, dass die gewaltigen Öl- und Gasvorräte, denen das Land seinen Reichtum verdankt, irgendwann zu Ende gehen. In 30 Jahren, so hat er kundgetan, will er deshalb Astana zu einem weltweit beachteten Zentrum für Wissenschaft und Technologie machen. Ob es ihm allerdings gelingt, auch in Sachen Tourismus an den Erfolg von Dubai anzuknüpfen, scheint ohne Strand vor der Tür und mit einer Infrastruktur, die nach wie vor hauptsächlich auf Geschäftsreise ausgerichtet ist, eher unwahrscheinlich.
Text: Marc Tügel; BUSINESS TRAVELLER Magazin 1/2015