Die Pünktlichkeit der abgehenden und ankommenden Flüge ist auf ein inakzeptables Maß gesunken, gibt selbst die Lufthansa zu. Und dabei beginnt jetzt erst die Feriensaison. Es sieht so aus, als ob die Passagiere noch stärkere Nerven mitbringen müssten als bisher schon.
Deutschlands Reisebüros beschweren sich. Sie haben nämlich gerade ziemlich viel Arbeit, allerdings eine, die ihnen kein Geld bringt. Momentan sind sie mehr mit Umbuchungen als mit dem Verkauf von Reisen beschäftigt, beklagt Thimas Bösl, Chef der größten Reisebüro-Kooperation RTK.
Was für die Reisebüros Mehrarbeit ist, verhagelt dem Reisenden jeden Zeitplan. Wer aktuell fliegen muss, der rechnet besser nicht damit, pünktlich am Ziel anzukommen: Fest gebuchte Flüge lösen sich in Nichts auf, sorgsam geplante Tagesrandverbindungen wandern in die Tagesmitte, Direktflüge werden Umsteigeverbindungen. Und am Reisetag soll man dann auch noch häufig in die Maschine einer wildfremden Airline einsteigen.
Das Flugreisejahr 2018 besteht bislang vor allem aus Chaos. Verspätungen und Flugausfälle sind die Regel. Dabei hatten Reisende und Reisebranche gehofft, dass es endlich besser geht, nach dem Chaos mit Air Berlin im vergangenen Jahr.
Die Probleme aber bleiben, und sie haben weiter viel mit der insolvent gegangenen Air Berlin und ihrer Tochter Niki zu tun. Der Markt hat sich nämlich noch längst nicht wieder beruhigt.
Bis Juni sind nach Angaben des Fluggastrechteportals EUClaim nicht weniger als 15.000 Flüge in Deutschland gestrichen worden. Das sind 70 Prozent mehr als im bereits chaotischen Vorjahr. Gleichzeitig erhöhte sich die Zahl der Flguzeuge, die unpünktlich starteten oder landeten, signifikant. In Frankfurt stieg sie von 34 auf 50 Prozent, in München von 27 auf 38 Prozent.
Hauptproblemkind ist Eurowings. Die Tochtergesellschaft der Lufthansa wollte sich etwa die Hälfte der 140 ehemaligen Air-Berlin-Flugzeuge einverleiben und konstatiert nun „Wachstumsschmerzen“. Denn im gewaltig vergrößerten Flugplan knarzt es mächtig. Die Fluggesellschaft wandte sich bereits in großformatigen Anzeigen an die Passagiere und bat um Entschuldigung: Die Pünktlichkeit sei auf ein auch für sie „inakzeptables Maß gesunken“, ergänzt Lufthansa – ebenfalls in Großanzeigen.
Nicht viel besser geht es Easyjet. Der britische Billigflieger, der sich den Großteil der Berlinrouten der Air Berlin gesichert hat, findet ebenfalls keine ausreichenden Flugzeuge und Crews, um all die neuen Strecken zu bedienen. Allein im Juni fielen 1300 Flüge aus.
Aber auch die etablierten Ferienflieger wie Condor und Tuifly sind betroffen. Sie hatten zunächst gehofft, sich Flugzeuge und Crews aus dem Air-Berlin-Bestand einverleiben zu können und entsprechend ihre Flugpläne veröffentlicht. Als dann statt ihnen Niki Lauda das Rennen machte, arrangierten sie sich mit dem Ex-Rennfahrer und sicherten sich seine Dienste. Doch dann übernahm der Erzfeind Ryanair 70 Prozent an Laudamotion. Folge: die angemieteten Laudamotion-Flieger wurden storniert, und neue sind nur schwer zu finden.
Ryanair kann sich auch nicht ins Fäustchen lachen, sondern hat selbst Probleme. Europas größter Billigflieger legt ein rasantes Wachstum hin, bekommt aber für die schlechte Bezahlung nur zu wenig Piloten. Als klar wurde, dass Ryanair zu wenig Crews hat, begehrten die vorhandenen auf und wollen mehr Geld. Die Folge sind Streiks. Und mit ihnen wieder Verspätungen und Flugausfälle.
All diese Einzelprobleme treffen auf ein europaweites: überfüllte Lufträume, die von zu wenig Fluglotsen kontrolliert werden. Eurocontrol, die offizielle europäische Organisation zur Sicherung der Luftfahrt, erwartet auch in den kommenden Jahren keinesfalls Entspanunng, sondern noch mehr Verspätungen. Denn die Kapazitäten der Flughäfen und der Flugsicherung kommen mit dem stürmischen Anstieg der Passagiere und Flugbewegungen nicht hinterher.
Für die Reisenden ist das Ganze nur noch ärgerlich: Zunächst hatten sich die Fluggesellschaften wie die Geier über die Start- und Landerechte der verblichenen Air Berlin gestürzt. Und jetzt sind sie nicht fähig, die Strecken zu bedienen, weil ihnen Flugzeuge und Crews fehlen.
Gleichzeitig erhöhen sie die Tickets massiv. Allein Lufthansa verlangt zwischen 25 und 30 Prozent mehr pro Flug als vor einem Jahr, stellte das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrttechnik fest. Es gibt weniger Leistung für mehr Geld.
Auf ihre Verantwortung agesprochen, reden sich die Airlines gern auf Höhere Gewalt heraus. Der Grund ist klar: Dann müssen sie keinen Schadenersatz leisten. Oder sie versuchen sich mit Essensgutscheinen oder einem Upgrade preiswert aus der Affäre zu ziehen.
Das freilich müssen sich die Fluggäste nicht bieten lassen. Hat man mal ein Ticket gekauft, so hat die Fluggesellschaft eine Beförderungspflicht und muss darüber hinaus EU-einheitliche Ausgleichszahlungen leisten, wenn der Flug mehr als drei Stunden verspätet landet oder ganz annulliert wird. Dann kommt zum Zeitverlust wenigstens eine kleine finanzielle Entschädigung. (Mehr Infos: Flieger verspätet? So kommen Sie an die Ausgleichszahlung )
Das gilt auch, wenn fremde Fluggesellschaften oder auch Busfirmen eingesetzt werden. Verantwortlich bleibt immer die Gesellschaft, die das ursprüngliche Ticket ausgestellt hat, urteilte gerade erst wieder der Europäische Gerichtshof. Bei stundenlanger Verspätung bekommen Passagiere eine Entschädigung von der Airline, bei der sie ihren Flug gebucht haben – auch wenn das Flugzeug samt Besatzung zu einer anderen Gesellschaft gehört.
(hwr)