Ob Projektingenieure, IT-Consultants oder Monteure: Menschen, die Wochen oder gar Monate aus dem Koffer leben müssen, haben andere Ansprüche an ihre Wohnstätte als Business-Reisende auf dem Kurztrip – das klassische Hotelzimmer wird eng auf die Dauer, die übliche Ausstattung zu mager für den anstrengenden Alltag fern der Heimat. Immer mehr Job-Nomaden entscheiden sich daher für Aparthotels, Boarding-Häuser bzw. Serviced Apartments, die auf die Anforderungen der länger verweilenden Zielgruppe spezialisiert sind und mehr bieten als Bett und Bad. Wie groß die Nachfrage mittlerweile ist, weiß Anett Gregorius, Geschäftsführerin von Boardinghouse Consulting und Betreiberin der Buchungsplattform www.apartmentservice.de: „Wir erleben eine rasante Marktentwicklung, die Anzahl von Apartmenthäusern steigt in beachtlichem Tempo“, sagt die Fachfrau aus Berlin. „Gab es Mitte der 90er Jahre etwa 50 Häuser auf dem deutschen Markt, waren es 2003 schon 200 und heute rund 420 mit je 15 Einheiten und insgesamt 22.000 Apartments, die für potentielle Gäste zur Verfügung stehen“.
Mehr Platz, eine eingebaute Kitchenette, Zugang zu Waschmaschine und Trockner, eine Bügelstation sowie Serviceleistungen nach dem Baukastenprinzip (von der Reinigung über den Brötchenservice bis zum mobilen Kleiderschrank) sind die klassischen Vorteile, die Gäste in einem Serviced Apartment zu schätzen gelernt haben. Aber auch das Gefühl, einen Rückzugsort „in den eigenen vier Wänden“ zu haben, spielt eine maßgebliche Rolle bei der Entscheidung für die alternative Wohnform. So bemühen sich viele Apartmenthäuser um Individualität in der Einrichtung – mit Liebe zum Detail und einem Mehr an Privatsphäre. Und bieten außerdem Gemeinschaftsräume, in denen sich Gäste treffen und Zeit miteinander verbringen können, was Behaglichkeit und Heimatgefühl schafft. Auch ungestörtes Arbeiten muss gewährleistet sein: Unlimitiertes WLAN im Hotel und im Apartment zum Nulltarif sowie alle technischen Features, die nötig sind, um schnell und jederzeit online gehen zu können, gehören zu den Musts, die Geschäftsreisende heute abfragen.
Viele der Angebote hat natürlich auch die Hotellerie zu bieten, die aufgrund der positiven Prognosen gerne zweigleisig fährt und neben klassischen Hotelzimmern auch Apartments offeriert, die für den Langzeitaufenthalt eingerichtet sind. Gepaart mit komfortablen Einrichtungen wie Bar, Restaurant oder Wellnessbereich – die bei Serviced Apartments (noch) eher selten anzutreffen sind – entstehen Pakete, die bei den Gästen auf Gegenliebe stoßen und Mischformen aus Hotels und Apartmenthäusern zu einer beachtlichen Marktstellung verhelfen. So liegt der Anteil von Hotels mit integrierten Serviced Apartments derzeit bei über 50 Prozent, reine Boardinghäuser schlagen mit 36,1 Prozent zu Buche, gefolgt von Hotels mit Apartments in separaten Häusern mit 10,7 Prozent (Quelle: Georg Consulting).
Trotzdem dürfte das Unterkunftskonzept der Serviced Apartments weiter Boden gut machen in den nächsten Jahren, gerade im Geschäftsreisesegment. Denn: Gerade bei Unternehmen mit Projektgeschäft (und restriktiven Reiserichtlinien) wird die Hotelalternative aufgrund ihres Sparpotenzials zunehmend populärer. Ab vier Nächten sprechen die Anbieter bereits von einem „Longstay“, für den vergünstigte Konditionen berechnet werden. Je länger die Verweildauer, desto stärker sinkt die Rate – nachdem laut Marktbefragung von Boardinghouse Consulting 19 Prozent der Aufenthalte in Serviced Apartments zwischen sieben und 27 Nächten sowie 34 Prozent länger als 28 Nächte sind, winken den Unternehmen deutliche Kosteneinsparungen. „Gegenüber einem Hotelangebot kann man schnell 30 Prozent sparen“ sagt Anett Gregorius – und nennt eine Summe, die andere Branchenvertreter bestätigen. So rechnet auch Tim Düysen, Marketing- und Vertriebschef des deutschen Anbieters Derag Livinghotels, vor, dass Gäste bei einem vierwöchigen Aufenthalt gegenüber einem Hotel rund 30 Prozent günstiger fahren. Die Derag-Gruppe, mit aktuell 14 Häusern und 2.500 Zimmern in acht Städten einer der Marktführer im Segment Serviced Apartments und im Schwerpunkt Gastgeber von Business-Kunden, setzt auf Expansion: Neue Häuser in Düsseldorf, Frankfurt und Garching bei München sind im Bau bzw. in der Planung, ebenso wie eine Erweiterung des Münchner Domizils am Viktualienmarkt um weitere 44 Apartments. Um sich von der stärker werdenden Konkurrenz abzusetzen, ersinnt Derag für seine Serviced Apartments fortwährend neue inhaltliche Konzepte – vom umweltfreundlichen Null-Energie-Haus bis zur Gesundheitsoffensive für den gestressten Business-Gast.
Gegenwind kommt aus dem Ausland: So drängen immer mehr große internationale Ketten auf den deutschen, noch vorwiegend mittelständisch geprägten Markt. Diese bringen viel Wissen und reichlich Erfahrung mit, besitzt doch das Konzept der Serviced Apartments in anderen Ländern – allen voran die USA – nicht selten eine langjährige Tradition.
Beispiel Citadines Apart’Hotels: Die internationale Marke arbeitet mit Macht an ihrer Präsenz auf dem deutschen Markt und will nach Häusern in München, Berlin und Frankfurt Ende des Jahres 2014 in Hamburg ihr viertes Standbein im Land eröffnen. Hinter Citadines steht die Gruppe The Ascott, mit mehr als 200 Residenzen in 80 Städten Europas, des asiatisch-pazifischen Raums und der Golfregion, der weltweit größte Eigentümer-geführte Anbieter von Serviced Apartments. Wie auch andere Marktteilnehmer zielt das Unternehmen, das rund um den Globus vor allem Firmenkunden bedient, in Deutschland auf die großen Business-Metropolen.
Zu den Global Playern gehört auch die internationale Hotelgruppe Accor mit seiner Marke Adagio bzw. Adagio Access (Budget-Segment). Das Joint-Venture zwischen Accor und Pierre & Vacances Center Parcs ist mit 90 Häusern und über 10.000 Apartments der europäische Marktführer für Aparthotels und betreibt derzeit drei Häuser in Deutschland – in Berlin, Köln und München. In der bayerischen Landeshauptstadt soll im September das erste Adagio Access auf deutschem Boden eröffnet werden. Weitere Business-Cities sind im Visier: So sollen in den nächsten Jahren Stützpunkte in Frankfurt, Düsseldorf und Hamburg gebaut werden. Expandieren will die Marke aber europaweit: „Bis zum Jahr 2015 planen wir das europäische Netzwerk auf 130 Häuser zu erweitern“, so Vangelis Porikis, Director of Operations Europa von Adagio.
Bereits 2007 eröffnete Adina ihr erstes Apartmenthotel in Deutschland – am Checkpoint Charlie in Berlin Mitte. Inzwischen erweiterte die zur australischen TFE Group gehörende Kette ihr Portfolio um weitere Häuser am Berliner Hauptbahnhof, am Hackeschen Markt, in Frankfurt und Hamburg. Bis 2018 will Adina in Deutschland mit 15 Dependancen vertreten sein – und sich durch australisches Flair in Sachen Einrichtung und Gastfreundschaft sowie Vier-Sterne-Hotelkomfort abheben. Einbauküche mit Herd, Mikrowelle, Geschirrspüler und Kühlschrank sowie Badezimmer mit Waschmaschine und Trockner gehören ebenso zum Standard wie eine 24-Stunden-Rezeption, Zimmerservice sowie Annehmlichkeiten wie Fitnessraum, Sauna, Whirlpool und ein beheizter Indoor-Pool, im hauseigenen Restaurant & Bar werden „Aussie-Burger“ serviert.
Je mehr Anbieter auf den Markt drängen, desto schwerer wird es für den Gast, deren Angebote einschätzen zu können – vor allem bei fehlenden Qualitätsstandards. Um mehr Transparenz und vor allem Vergleichbarkeit für den Kunden zu schaffen, entwickelte Boardinghouse Consulting gemeinsam mit dem TÜV Rheinland bereits 2005 ein System zur Zertifizierung von Serviced Apartments, das der Verband Deutsches Reisemanagement (VDR) 2014 übernommen hat. Als Zertifikat „Certified Serviced Apartment“ wird es von der Zertifizierungsgesellschaft BTME nun analog zu den schon bestehenden VDR-Siegeln für Business- oder Kongresshotels vergeben. Was einen entscheidenden Schritt nach vorne bedeutet. Denn: Es sind nun die Nutzer selbst – Travel Manager aus VDR-Mitgliedsfirmen –, die die Häuser vor allem in Hinblick auf die Bedürfnisse von Langzeitreisenden prüfen. Das nutzt nicht nur dem Gast, sondern auch den Anbietern, die dabei unterstützt werden, ihre Angebote besser an den Gast zu bringen. Anett Gregorius ist zuversichtlich: „Serviced Apartments erleben gerade einen regelrechten Boom. Neue Konzepte entstehen, auch außerhalb der großen Metropolen ist das Interesse an dem Segment geweckt. Die größere Bekanntheit bringt aber eben auch viele Fragen der Nutzer mit sich. Mit dem weiterentwickelten Zertifikat stehen ganz klar die Anforderungen und Wünsche der Gäste im Vordergrund. Langfristig wird das positiv wirken.“
Text: Sabine Galas; BUSINESS TRAVELLER Magazin 4/2014
Boardinghouse, Aparthotel oder Residenz? Auf dem Markt grassieren viele Begriffe, die jede Menge Verwirrung stiften. Der international gebräuchliche Ausdruck für Langzeitunterkünfte heißt „Serviced Apartment“ – und der setzt sich allmählich auch bei uns durch.